Biketourismus in Krisenzeiten

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BIKETOURISMUS IN KRISENZEITEN

Grüß Euch alle miteinander!

Wir haben ja in der letzten Zeit während der Corona Pandemie mit sehr deutlichen Einschränkungen unseres Lebens zu tun gehabt und ich hab mich in der Zeit , ich hab mir in der Zeit 2 Fragen gestellt:

Nämlich einmal – was fehlt mir eigentlich trotz dieser Einschränkungen überhaupt nicht und die zweite Frage, was vermisse ich wirklich.

Und zur ersten Frage – also mir persönlich haben Kondensstreifen am Himmel nicht gefehlt. Mir hat auch kein Autostau gefehlt, mir haben auch keine Abgase gefehlt und kein Lärm und kein Feinstaub, keine Umweltverschmutzung, das hat mir alles nicht gefehlt.

Also in meinem Hausrevier am Gardasee kommt ja normalerweise jeden Nachmittag mit der Ora der ganze Smog von den Industriegebieten Oberitaliens bis zu uns ins Gebirge reingezogen. Und jetzt während Corona war es so, dass jeden Tag die Ora voll geblasen hat und wir konnten von Torbole 60 km nach Süden bis nach Sirmione schauen und es war völlig klare Luft. Die Luftverschmutzung in Norditalien hat während Corona um 80 % abgenommen.
Also trotz aller Einschränkungen, das war doch wunderbar, das ist doch ein großer Genuss, das ist doch ein Erfolg.

Und wenn ich mich weiter gefragt habe, was ich alles nicht vermisse – nein, ich habe zum Beispiel Kiwi aus Neuseeland nicht vermisst, auch keine Avocados aus Israel und keine Papayas aus der Südsee. Wir haben sehr gut gelebt mit dem Gemüse vom Bauern nebenan, überhaupt kein Problem. Ich hab auch eigentlich nicht vermisst Flugreisen in die Malediven, oder eine Kreuzfahrt in die Karibik.

Die Radltour bei uns hier in der Gegend, die war eigentlich umso schöner, weil die Umwelt plötzlich so intakt war, weil alles so ruhig war und wir haben Dinge entdeckt, die wir bisher in unserer Umgebung noch gar nicht wirklich gesehen haben.

Also insofern waren diese Einschränkungen auch ein Vorteil. Auf der anderen Seite hatten mir natürlich auch Dinge sehr gefehlt. Ich hab vermisst den menschlichen Kontakt, also wir konnten nicht in die Kneipe gehen, nicht ins Restaurant, nicht ins Kino, keine Veranstaltungen. Die Nähe zu anderen Menschen bei einer Party oder beim kleinen Fest, das hat mir schon gefehlt.

Und ich weiß, dass vielen, vielen Menschen auch etwas ganz wesentliches gefehlt hat.

Nämlich Geld im Geldbeutel, weil viele haben Kurzarbeit gehabt, haben 40 % weniger verdient. Viele Kleinunternehmer, Geschäftsbesitzer etc. Veranstaltungsleuten, Künstler und so weiter standen quasi vor dem Ruin, weil sie plötzlich überhaupt kein Einkommen mehr hatten. Der Staat musste aushelfen.

Also wenn wir das mal gegenüber halten – auf der einen Seite große Vorteile für die Natur und auf der anderen Seite weniger Geld im Geldbeutel und wenn wir daraus mal den Umkehrschluss ziehen, bedeutet dann nicht mehr Geld im Geldbeutel auch größerer Schaden für die Natur.

Ist das nicht so?

Ich denke, wir machen mit unseren Gewinnstreben, mit dem permanenten Wachstum, mit dem immer mehr haben wollen, mit der Gier, die wir haben nach mehr Wohlstand, nach mehr Reichtum, entziehen wir uns selber die Basis unseres Lebens, nämlich, wir machen damit die Natur kaputt.

Das war während Corona deutlich zu spüren.

Und mir hat das eigentlich auch große Erkenntnisse gegeben über das Thema, über das wir hier eigentlich sprechen, nämlich Tourismus und Fahrrad fahren. Denn der Tourismus, der lebt ja vom Verkehr. Im Tourismus muss sich ein Mensch von seinem zu Hause in eine Tourismusregion begeben.

Das tut er üblicherweise mit dem Auto, aber er kann es natürlich per Flugreise tun oder mit der Schiff bei einer Kreuzfahrt, etc. Aber er muss sich bewegen. Dieser Verkehr, den wir über den Tourismus erzeugen, der macht das schönste Urlaubsparadies plötzlich zur Urlaubshölle.

Das wollen wir doch eigentlich nicht.

Wenn ich so bestimmte Urlaubsorte mir anschaue. Ich nehme mal den Corona Hotspot der Alpen, nämlich Ischgl. Wenn ich mir anschaue, dass dort auf 1500 Einwohner 15.000 Gästebetten kommen, dann muss man sich doch fragen , ob das nicht übertrieben ist, ob nicht dieses Wachstum, dieses immer mehr haben wollen, immer größer werden, immer erfolgreicher werden, genau dazu führt, dass eigentlich aus der Schönheit der Natur plötzlich ein Schaden wird und ich denke, ich sehe das auch zum Beispiel bei uns am Gardasee.

Am Gardasee ist die Situation nicht so krass. Da kommen auf 1 Einwohner 1,8 Gästebetten und nicht wir in Ischgl 10 Gästebetten. Aber trotzdem ihr kennt die Situation – die Straße zwischen Torbole und Riva, das sind 3 km. Da braucht man im Sommer mit dem Auto mindestens eine halbe Stunde um die zu überwinden. Das ist Stress für alle. Für die Anwohner, für die Touristen selber.

Wir haben dort Stau, wir haben Abgase, wir haben Lärm. Wir haben all das, was wir an einem Urlaubsparadies eigentlich nicht wollen. Denn wir wollen uns ja von dem, was wir den ganzen Tage zu Hause haben, erholen und die Erholung ist plötzlich nicht mehr möglich durch den Verkehr, den wir selbst verursachen.

Also, was wäre der Ausweg aus der ganzen Geschichte?

Erst einmal den Verkehr zu reduzieren.

Wenn ich an große Städte denke, die ja alle schon vor Jahren, Jahrzehnten den Innenstadtbereich, also den meisten frequentierten Bereich zur Fußgängerzone gemacht haben. In den meisten Städten waren natürlich die Anwohner und die Geschäftsleute, alle komplett gegen Fußgängerzonen. Weil sie gesagt haben, ohne Auto kommen die Leute nicht mehr zu mir. Heute haben sie alle erkannt, dass die Fußgängerzonen ein Segen war, weil nämlich plötzlich ein Freiraum entstand. Menschen konnten sich in Ruhe und ohne Gefahr und ohne Belastung bewegen und sind deswegen eigentlich kauffreudiger. Die Geschäftsleute sind heute alle froh, dass sie Fußgängerzonen haben.

Und wenn wir das jetzt mal umsetzen, zum Beispiel auf Tourismusregionen, wo heute immer noch der Verkehr unbedingt rein gelassen werden muss, damit die Leute ihr Hotel erreichen und das Restaurant erreichen usw.

  • Können wir da nicht was machen?
  • Können wir da nicht was ändern?
  • Können wir nicht wie in den Städten große Fußgänger und Radfahren Zonen oder Umweltzonen auch in den Tourismusgebieten machen?
  • Können wir nicht auch ein Park and Ride entwickeln, wie in den großen Städten?

Natürlich ist mir klar, dass man ohne Auto schwer hier in den Alpen zumindest in alle Urlaubsregionen fahren kann. Bis wir das mal organisiert haben, dass man mit Bahn und Bus anreisen kann, das wird noch Jahre, Jahrzehnte dauern, wenn überhaupt.

Aber wenn wir schon mit dem Auto anreisen in eine der Alpen-Orte oder an den Gardasee, dann wäre es doch vielleicht klug einen großen Parkplatz außerhalb, 4 – 5 km entfernt, zu organisieren und dort mehrere 1000 Fahrzeuge für so eine Region abzustellen. Von dort aus Shuttles einzurichten, die das Gepäck und die Menschen zu ihren Hotels bringen, zum Beispiel.
Das müssen natürlich heute Elektrofahrzeuge sein, die keinen Lärm und keine Abgase lokal erzeugen.

Und nehmen wir mal wieder den Gardasee. Da haben wir 35 % aller Touristen, die überhaupt an den nördlichen Gardasee fahren, sind Biker. Ja für die wäre es kein Problem ihr Gepäck in einen Shuttle zu stellen und dann mit dem Bike vom Parkplatz zum Hotel zu fahren.

Die Leute lassen ihre Autos außerhalb stehen und fahren dann mit dem Elektroshuttle bzw. mit ihrem Bike zum Hotel. Natürlich mögen manche das als eine Art Nachteil oder eine Strafe empfinden, “Oh ich am Hotel und jetzt habe ich doch irgendwas in meinem Handschuhfach vergessen und da komm ich jetzt nicht ran, da muss ich erst zum Parkplatz hinfahren” usw.

Aber das muss man entsprechend organisieren, dass die Leute alles mitnehmen. Und ich möchte nicht dass, Menschen, Gäste in Tourismusregionen es als Strafe empfinden ihr Auto nicht dabei zu haben.

Vielleicht können wir sie ja dafür belohnen, dass man sagt, erstens der Parkplatz da draussen kostet nichts. Auch der Shuttle kostet nichts und wenn ihr bereit seid, eine ganze Woche, z.B. wieder am Gardasee oder in eurem Alpenort zu bleiben, ohne das Auto zu bewegen.

Das bleibt auf dem Parkplatz stehen und ihr fahrt die ganze Woche nur mit dem Rad – mit eurem eigenen Rad oder mit einem Leihrad. Oder ihr geht zu Fuß. Dann geben wir euch ein Skonto von 2 oder 3 % auf euer Hotelzimmer.

Das wäre doch ein Vorteil.

Da würde ich vielleicht 100 Euro sparen, aber ich könnte mein Auto nicht bewegen. Ich würde es aber irgendwo als sinnvoll und als Belohnung empfinden.

Und mir geht es darum, dass es nicht nur über die finanzielle Schiene funktioniert, sondern dass wir die Menschen auch davon überzeugen, dass es besser ist – ein Urlaubsparadies bleibt ein Urlaubsparadies und wird nicht durch unseren Verkehr zu Urlaubshölle.

Uli Stanciu, Bike-Pionier und Vordenker

Nein, ich habe zum Beispiel Kiwi aus Neuseeland nicht vermisst, auch keine Avocados aus Israel und keine Papayas aus der Südsee. Wir haben sehr gut gelebt mit dem Gemüse vom Bauern nebenan, überhaupt kein Problem. Ich hab auch eigentlich nicht vermisst Flugreisen in die Malediven, oder eine Kreuzfahrt in die Karibik.

Diese Keynote wurde am Kongress 2020 von Uli Stanciu gehalten.

Keynote 2020
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